Der langsamste Zug Asiens – Unterwegs im Battambang Express

Cambodia

pancake

Aus dem Englischen übersetzt von Walther Schütz

Sechs Uhr morgens. Bahnhof Phnom Penh, Kambodscha. Etwa 15 Wagen sind am Gleis eins aufgereiht. Fahren wird heute nur ein einziger Zug. Die Khmer haben nur einen Zug in Richtung Westen. Morgen wird derselbe Zug zur Hauptstadt zurückfahren. Die Passagiere drängen sich um die Wagen. Die Fahrkarten sind billig, ein paar Riel pro Kilometer. Soldaten patroullieren an den Wagen auf und ab, gelegentlich rauchen sie. Mütter, die Babys an sich drücken, steigen in die Kastenwagen. Sitze gibt es nicht. Einige Wagenkästen sind aus Holz, andere aus Eisen. In den letzteren ist es schon heiß, und die Sonne ist kaum erst aufgegangen. Getränke- und Essenver­käufer, Uhren- und Sonnenbrillenhändler wuseln geschäftig umher. Geröstete Frösche zum Frühstück? Oder Wachteln? Oder vielleicht ein paar von den köstlichen fetten Maden in einem riesigen Korb, den eine junge Frau auf dem Kopf balanciert? Die werden sogar noch weniger kosten als die Fahrkarten.

Bis vor kurzem hatte der Zug noch einen gepanzerten Wagen mit einem Maschinengewehr auf dem Dach, für den Notfall… Und die vordersten Wagen, offene Tieflader vor dem Triebwagen, dienten dazu, Minen auf den Gleisen aufzuspüren. Auf dem ersten Wagen zahlte man nichts, auf dem zweiten den halben Preis. Kurz gesagt, die Züge sind schlimmer als in England, aber Reisen kann hier zur Urerfahrung für ein ganzes Leben werden.

Kambodscha ist nicht berühmt für seine Infrastruktur. Dreißig Jahre fremder Einmischung, Krieg und Revolution haben das Land gleichsam in Fetzen hinterlassen, und die Khmer haben nur begrenzte Möglichkeiten, ihr zerstörtes Land wieder in Ordnung zu bringen. Viele Straßen sind noch immer in einem jämmerlichen Zustand. Flugzeuge sind für gewöhnliche Khmer viel zu teuer. Der Handelsverkehr ist eingeschränkt, und mehr als 80 Prozent der Khmer sind noch nie in Angkor gewesen – anders als die 300 000 Touristen, die letztes Jahr (2000) auf dem Luftweg hierher kamen.

Es gibt in Kambodscha nur eine einzige weitere Möglichkeit zu reisen – die beiden Eisenbahn­linien.

Der Battambang-Express überquert das Land in seiner ganzen Breite und spult die 275 km von der Hauptstadt aus auf rumpeligen Gleisen in der Kleinigkeit von etwa 16 Stunden herunter. Nein, die durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit übersteigt kaum 20 km in der Stunde. Damit ist der Express der langsamste Asiens.

Der Zug schiebt sich langsam aus dem Bahnhof. Die Wagen sind zum Bersten voll. Im Halb­dunkel ehemaliger Güterwagen kauern ganze Familien – mit ihrem Haushalt, der sich an den Wänden türmt. Wagen erster oder zweiter Klasse gibt es nicht, auch keinen Speisewagen. Der Orient-Express ist das nicht. Sogar das Dach ist gerammelt voll von Menschen. Dort oben ist die Frischluftklasse. Entweder siecht man in stickigem Dunkel, oder man riskiert, der Sonne ausgesetzt, zu erblinden oder sich einen Hitzschlag zu holen.

Der Zug kreischt durch eine weite Kurve am Pochentong-Bahnhof in der Nähe des Flughafens vorbei. Von dem von den Franzosen errichteten Gebäude steht nur noch das ausgebombte Skelett. Alle anderen Bahnhöfe an der Strecke nach Battambang liegen in Trümmern. Alte Eisenbahn­wagen stehen verwaist neben den Schienen. Alle sind besetzt. Aber in keinem gibt es einen Reisenden. Menschen haben sie zu ihren Wohnungen erkoren.

Als der Zug ins offene Land hinaus keucht, steigt die Sonne rasch über verbrannten Reisfeldern unter einem verhangenen, metallisch grauen Himmel. Wir fahren durch Dörfer und kleine Städte; entlang den Schienen reihen sich Holzschuppen, neben ihnen Leute, die ihre Arbeit unterbrechen; eine kurze Pause während der harten, eintönigen Routine. Auf meinem Wagen teilen sich Soldaten, Mönche und Privatleute Imbisshappen, gereicht von Kindern, die auf die Wagons auf und wieder ab springen. Ein Team ausgesprochen harter junger Burschen in Lum­pen übernimmt während der Fahrt lange, für Baugerüste zugeschnittene Holzbohlen. Sooft der Zug durch ein Dorf fährt, reichen Männer neben den Schienen das Holz herauf. Zwei Jungen packen jeder an einem Ende zu (Diese Bohlen sind oft fünf oder mehr Meter lang) und rennen quer über die Wagen zum Ende des fahrenden Zuges, wo sich ihre gesamte Beute stapelt. In Battambang werden sie das Holz verkaufen und am nächsten Tag dann bei der Rückfahrt des Zuges den Leuten ihren Anteil am Erlös geben.

Es gibt keine Toiletten. Teile des Bahndamms und dessen Umfeld sind mit Landminen ge­spickt, so dass der Zug kaum einmal anhält. Um die Mittagszeit legt er einen Zwischenstopp ein – in Pursat, der größten Stadt an der Strecke. Pursat sieht kaum passabler aus als die Dörfer zuvor. Das Bahnhofsgebäude ist eine einfache Wand. Ein Tisch für Pool Billard steht neben den Schienen in der Sonne. Ein paar Kinder auf Krücken oder in Rollstühlen schauen dem he­ranstampfenden Eisenross zu. Sobald der Zug hält, halten Mütter ihre Babys aus den Fenstern und übergießen sie mit kaltem Wasser. Die Hälfte der Passagiere steigt aus, um sich zu erleich­tern; aber keiner entfernt sich weiter als unbedingt nötig – für die meisten tut es die Bahnhofs­wand. Kaum habe ich in Wandrichtung Stellung bezogen, da machen die Typen neben mir kehrt und rennen weg. Der Zug hat sich gerade wieder in Bewegung gesetzt. Hunderte von Menschen stürmen zurück zu den Wagen, springen durch die offenen Türen oder klettern über die eisernen Leitern an den Wagenenden auf die Dächer zurück. Als ich den Zug erreiche, jetzt doch ein bisschen in Eile, haben die, die die Leiter hinauf wollen, eine kleine Schlange gebildet. Kinder und Frauen, alte Männer und ich sind gezwungen, neben den Wagen her zu rennen. Eine alte Frau, schon halb oben auf der Leiter, verliert den Halt. Sie rutscht ab, stürzt zwischen die Schienen und ist verschwunden. Angehörige von ihr schreien, der Zug solle anhalten, aber ihre Rufe, nur stockend weitergegeben, dringen nicht durch bis zur Maschine, und anhalten wird der Zug ohnehin nicht. Einige weitere Menschen, darunter auch ich, schaffen es schließ­lich doch die Leiter hinauf. Ein paar Leute springen ab, dann sind wir wieder draußen auf der weiten, sich scheinbar ins Unendliche verlierenden Ebene der Reisfelder.

Als wir einem herrlichen Sonnenuntergang und unserem Ziel entgegenrollen, bemerkt ein jun­ger Mönch: „Vor ein paar Jahren hätte jeder hier ein paar Schüsse in die Luft abgegeben, und der Zug hätte sofort angehalten. Heute trugen sogar die Soldaten auf dem Wagen nebenan keine Waffen.“

Dieser Text ist ursprünglich auf Englisch in ‘Beyond the Pancake Trench‘ bei Orchid Books erschienen.

Leave a Reply